Zur aktuellen Lage in der EU nach dem Griechenland-Votum erklärt der AfA-Bundes-/Landesvorsitzende Klaus Barthel, MdB:
Zunächst müssen die politischen Verantwortlichen das Votum der griechischen Wählerinnen und Wähler respektvoll zur Kenntnis nehmen, anstatt weiterhin die griechische Regierung verbal zu attackieren. Diese ist auf nationaler Ebene unerwartet deutlich gestärkt worden. Daran ändern auch die nicht unerheblichen Einmischungen von außen sowie manche verzerrenden Berichterstattungen und Umfragen nichts.
Weder diese Entscheidung noch ein „Ja“ der griechischen Wählerschaft hätte bzw. hat die wirtschaftlichen Probleme und die dramatische Alltagssituation in Griechenland gelöst. Alle mussten und müssen wissen, dass sofortiges Handeln gegen den totalen Zusammenbruch der Wirtschaftskreisläufe in Griechenland ebenso notwendig ist wie Verhandlungen über einen nachhaltigen Weg aus der Krise. Es ist völlig unerheblich, ob das Instrument „3. Rettungspaket“ oder Verlängerung bisherige Kreditlinien heißt: EZB und EU-Kommission müssen jetzt für 6 Monate die Zahlungsfähigkeit Griechenlands sichern und den Märkten Stabilität geben.
Die europäischen Institutionen und die griechische Regierung müssen parallel dazu gemeinsam ein Programm mittelfristig angelegter, gerechter und wirksamer Reformen für Wirtschaft und Staat entwickeln, die entweder zum Jahresende einen geordneten Ausstieg Griechenlands aus dem Euro (nicht aus der EU) oder einen dauerhaften Verbleib sicherstellen. Ein Hinausdrängen Griechenlands aus dem Euro kommt dabei nicht in Frage. Diese Verhandlungen sind endlich auf Augenhöhe zu führen und von gegenseitigen persönlichen Animositäten frei zu halten.
Wir fordern in jedem Fall EU-Kommission und die europäischen Regierungen auf, jetzt die Chance für einen grundlegenden Wechsel in der europäischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik vorzunehmen. Dazu gehört
Der IWF und die europäischen Institutionen stehen vor dem Scherbenhaufen ihrer Sparpolitik zulasten der Bevölkerungsmehrheiten und staatlicher Handlungsfähigkeit. Zwar ist sie jetzt in Griechenland so drastisch gescheitert wie sonst nirgends in der EU. Wer jedoch glaubt, dies könne man als griechisches Sonderproblem abtun, täuscht sich über die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen in ganz Europa und weit darüber hinaus. Längst ist das europäische Projekt als Ganzes gefährdet, weil die Folgen der weltweiten Finanz- und Bankenkrise nicht bewältigt sind. Deren Ursachen werden nicht angegangen. Weder hat die EU ihren Anspruch als soziales und wirtschaftlich handlungsfähiges Projekt erfüllt noch ihre Versprechen und Ankündigungen, über Investitionen, Jugendgarantie und Steuergerechtigkeit bis hin zu Finanztransaktionssteuer, eingelöst.
Von den Verantwortlichen in der europäischen Sozialdemokratie erwarten wir, dass sie sich endlich aus der babylonischen Gefangenschaft der Politik sogenannter „Strukturreformen“ befreien und sich von der Sündenbock-Theorie gegen die gegenwärtige griechische Regierung lösen. Bei allen vergangenen Wahlen sind wir für eine soziale und ökonomische Wende in der EU eingetreten. Jetzt ist also die Gelegenheit, sich daran zu erinnern.